Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble haben vor einer möglichen Spaltung der Gesellschaft durch die Digitalisierung gewarnt. "Die digitale Teilhabe ist inzwischen zur zentralen Voraussetzung für soziale Teilhabe geworden", sagte Schäuble am Donnerstagabend beim Jahresempfang der Caritas in Berlin. Es gebe allerdings etwa 13 Millionen digitale Außenseiter in Deutschland. Der Empfang des katholischen Wohlfahrtsverbands im Rahmen des Caritaskongresses stand unter dem Motto "Sozial braucht digital". Schäuble warb für Zusammenhalt und Gemeinsinn auch in der digitalen Welt. Alle in die Gesellschaft einzubeziehen, sei kein wirklich neues Konzept, zumal für Christen. Zusammenhalt habe viel mit Solidarität zu tun. Die Politik müsse Rahmenbedingungen für die Digitalisierung schaffen, die auch die gesellschaftlichen Auswirkungen im Blick haben. Der Mensch müsse auch im digitalen Zeitalter im Zentrum bleiben. Kardinal Marx warnte vor einem ungebremsten Kapitalismus. Kirche und Caritas müssten klar machen, dass sie auf der Seite der verantwortlichen Freiheit stünden. Die Interessen seien immer auf das Ganze, auf die Solidarität auch mit den Armen gerichtet. Bei der Digitalisierung sei immer die Frage zu stellen, ob sie den Armen und Schwachen diene. Man solle aber kein Schreckensszenario aufbauen, sondern das Positive aufgreifen, sagte Marx. Es gelte, sich um gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Zukunft der freiheitlichen, offenen und solidarischen Gesellschaft zu bemühen. Die digitale Entwicklung brauche auch die soziale Komponente, sagte Caritas-Präsident Peter Neher. Noch immer liege das politische Augenmerk fast ausschließlich auf der Digitalisierung in den Bereichen Wirtschaft, Industrie und Wissenschaft. "Die Entwicklung einer digitalen Gesellschaft, die dem Menschen dient, erfordert aber einen größeren Horizont." Teilhabe lasse sich nur verwirklichen, wenn es gelinge, die digitalen Entwicklungen im sozialen Bereich mitzudenken und reflektiert in die Praxis umzusetzen.
Der Jesuit Ansgar Wucherpfennig forderte mit Blick auf den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche ein Umdenken in der Sexualmoral. "Die Kirche ist im Reformstau der 1960er-Jahre stecken geblieben und hat viele gesellschaftliche Entwicklungen nicht wahrgenommen", sagte der Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Donnerstagabend in Bad Soden. Nach den Worten Wucherpfennigs machen die Strukturen in der Kirche Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt erst möglich. "Katholische Geistliche haben große Macht über Menschen, die sich ihnen anvertrauen." Speziell von Jugendlichen würden sie kindlich und unkritisch verehrt. Als größte Risikogruppe sieht Wucherpfennig die "zynisch Zölibatären", die, egal ob homo- oder heterosexuell, Probleme mit ihrer Sexualität hätten und sich deshalb in die priesterliche Ehelosigkeit flüchteten. "Sie stehen nicht zu ihrem Verhalten bis hin zu ihren Verbrechen." Wucherpfennig war Anfang 2018 für eine dritte Amtszeit als Rektor der Jesuitenhochschule wiedergewählt worden; der Vatikan hatte ihm aber zunächst nicht die dafür erforderliche Unbedenklichkeitserklärung ("Nihil obstat") erteilt, was auf massive Kritik stieß. Wucherpfennig hatte sich wiederholt kritisch zum Umgang der Kirche mit Frauen und Homosexuellen geäußert. In seiner Rede in Bad Soden erneuerte Wucherpfennig seine Kritik an der Haltung der Kirche gegenüber Schwulen und Lesben. Homosexualität mit Verweis auf die Bibel abzulehnen, bezeichnete er als "Steinbruchexegese". Hier würden auf fundamentalistische Weise Bibelstellen aus dem Kontext gerissen, ohne heutige Wertmaßstäbe zu beachten. Zum Nein der Kirche zur Priesterweihe für Frauen sagte der Jesuit, er wundere sich, dass sich Frauen weiter ehrenamtlich engagierten, ohne dass sie dafür ein großes Lob oder Dank erführen. "Ohne Frauen würde die Kirche keinen einzigen Tag weiter existieren", warnte Wucherpfennig. Um Reformen voranzutreiben, sollte es nach Meinung des Jesuiten "kulturell gebundene Lösungen geben". Es nütze nichts, auf den Papst zu starren. Franziskus sei "ein beeindruckender Papst", so Wucherpfennig. "Aber die Schritte müssen dezentral geschehen." Und weiter: "Der Glaube muss reflektiert werden von denen, die glauben, und nicht von denjenigen, die amtlich dafür zuständig sind." (Familienbund der Katholiken/Sascha Nicolai/KNA)