Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen in Deutschland hat einen neuen Höchststand erreicht. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte, haben die Jugendämter 2022 bei fast 62.300 Kindern oder Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt festgestellt. Das waren rund 2.300 Fälle oder 4 Prozent mehr als im Jahr zuvor. (…)
Auch langfristig hat sich die Zahl der Kindeswohlgefährdungen erhöht: Im Vergleich zwischen 2012 bis 2022 betrug der Anstieg rund 24.000 Fälle beziehungsweise 63 Prozent. Dabei nahmen die Fallzahlen von 2017 bis einschließlich dem ersten Corona-Jahr 2020 besonders kräftig zu - und zwar jährlich um 9 bis 10 Prozent. Im zweiten Corona-Jahr 2021 sanken sie dann leicht um 1 Prozent.
Fachleute hatten im Zuge der Pandemie davor gewarnt, dass ein Teil der Kinderschutzfälle durch die Kontaktbeschränkungen unerkannt bleiben oder erst nach Ende der Pandemie auffallen könnte. Auch wenn die neuen Ergebnisse nach Auffassung der Statistiker zunächst eher nicht auf einen solchen Nachholeffekt hindeuten, sehen sie doch Auffälligkeiten: So gingen zwar die latenten Fälle - also jene, bei denen eine gegenwärtig vorliegende Gefahr nicht eindeutig bestätigt werden konnte, aber ein ernster Verdacht blieb - im Jahr 2022 um 2 Prozent auf 28.900 zurück. Gleichzeitig sind aber insbesondere die akuten (eindeutigen) Fälle von Kindeswohlgefährdung mit 10 Prozent vergleichsweise stark auf 33.400 Fälle gestiegen.
Etwa vier von fünf (79 Prozent) aller 62.300 von einer Kindeswohlgefährdung betroffenen Kinder waren jünger als 14 Jahre, etwa jedes zweite sogar jünger als 8 Jahre (47 Prozent). Während Jungen bis zum Alter von 11 Jahren etwas häufiger von einer Kindeswohlgefährdung betroffen waren, traf dies ab dem 12. Lebensjahr auf die Mädchen zu.
Die meisten betroffenen Minderjährigen wuchsen bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern (42 Prozent) oder bei beiden Eltern gemeinsam (38 Prozent) auf, 10 Prozent bei einem Elternteil in neuer Partnerschaft und weitere 9 Prozent in einem Heim, bei Verwandten oder in einer anderen Konstellation.
In den meisten Fällen von Kindeswohlgefährdung (59 Prozent) haben die Behörden Anzeichen von Vernachlässigung festgestellt. In über einem Drittel (35 Prozent) gab es Hinweise auf psychische Misshandlungen. In 27 Prozent wurden Indizien für körperliche Misshandlungen und in 5 Prozent Anzeichen für sexuelle Gewalt gefunden.
Knapp ein Drittel (30 Prozent) der rund 203.700 Gefährdungseinschätzungen wurden im Jahr 2022 von der Polizei oder den Justizbehörden angeregt. Rund ein Viertel (23 Prozent) kam aus der Bevölkerung - also von Verwandten, Bekannten, Nachbarn oder anonym. Dahinter folgten Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe oder der Erziehungshilfe (13 Prozent). Jeweils etwa ein Zehntel der Hinweise gaben die Schulen (11 Prozent) und die Familien selbst. (KNA)