Ein Kommentar von Stefan Becker. Von den heute 2,5 Millionen Pflegebedürftigen werden 70 Prozent in ihrer häuslichen Umgebung überwiegend ohne Fremdhilfe von ihren Angehörigen versorgt. Bei mehr als 40 Prozent der pflegenden Angehörigen entspricht der Betreuungsaufwand mindestens dem Umfang einer halben Arbeitsstelle. Kein anderes nord- und westeuropäisches Land verfügt über einen so hohen Anteil an pflegenden Angehörigen. Die Familie ist der größte Pflegedienst der Nation. Wie lange noch?
Unsere Bevölkerung wird in Zukunft eine deutlich steigende Zahl von Pflegebedürftigen bei gleichzeitig konstant niedrigem Nachwuchs haben. Familiäre Bindungen nehmen zahlenmäßig ab, erwachsene Kinder sind zunehmend auf eigene Existenzsicherung angewiesen und können diese immer weniger zugunsten der Pflegetätigkeit einschränken.
Familienpolitik war bisher ausgerichtet auf die Situation von Eltern und ihren heranwachsenden Kindern. Die Pflege der älteren Generation hatte sie nicht im Blick. Dabei ist doch offensichtlich, dass die Sorgeleistung einer mittleren Generation am Anfang und am Ende des Lebens unverzichtbar ist.
Vieles spricht also dafür, zukünftig Pflege auch als einen Verantwortungsbereich der Familienpolitik zu betrachten. Die Politik proklamiert seit Jahren den Vorrang der familiären Pflege. Ein untaugliches Familienpflegezeitgesetz, eine deutlich niedrigere Geldleistung bei eigener Pflege und zu niedrige Beiträge für die Alterssicherung der Pflegenden belegen, wie ernst es der Politik mit diesem Vorrang ist. Wann erkennt der Gesetzgeber seine Verantwortung für eine sorgende Gesellschaft?