31.10.2022
Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung (KiTa-Qualitätsgesetz)
Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 17. Oktober 2022.
1. Einleitung
Der Familienbund der Katholiken bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Kitaqualität.
Der Familienbund unterstützt ausdrücklich das Ziel des Gesetzentwurfs, für alle Kinder bis zum Schuleintritt im gesamten Bundesgebiet einen gleichwertigen Zugang zu hoher Qualität in der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung sicherzustellen. Entsprechende Forderungen hat der Familienbund, teils im Zusammenschluss mit anderen Familienverbänden der AGF, seit Beginn der Bund-Länder-Gespräche wiederholt geäußert. Eine hohe Qualität der frühkindlichen Bildung und Betreuung kommt grundsätzlich allen Kindern zugute. Besonders aber jenen, die Benachteiligungen erfahren oder mehr Unterstützung brauchen. Die Bundesregierung führt bereits in der Gesetzesbegründung zahlreiche Studien hierzu an. Der Familienbund begrüßt daher insgesamt die beabsichtigte weitere Verbesserung der Qualität in der Kindertagesbetreuung.
Er unterstützt auch das Bestreben der Regierung, mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Kitaqualität bundesweit einheitliche Standards zu erreichen und auf diese Weise zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bereich der frühkindlichen Bildung und Betreuung sowie bei der Vereinbarkeit beizutragen. Derzeit gibt es in vielen Bereichen noch erhebliche Unterschiede in der Qualität der Bildungs- und Betreuungsangebote im Bundesgebiet. So erleben Kleinstkinder etwa in den ostdeutschen Bundesländern in weiten Teilen einen Betreuungsschlüssel von rund 5,5 Kindern pro Fachkraft, während er in Westdeutschland durchschnittlich 3,5 Kinder pro Fachkraft beträgt, wissenschaftlich empfohlen wird ein Schlüssel von 3:1. Dafür gibt es im Osten Deutschlands mehr Betreuungsplätze als im Westen. Auch die Qualifikation des in den Kitas beschäftigen Personals variiert, um hier nur einige Punkte anzureißen. Grundsätzlich gibt es sowohl zwischen den Bundesländern als auch innerhalb eines Bundeslandes erhebliche Qualitätsunterschiede. [1] Diese aktuelle Spreizung bei gleichzeitigem Unterschreiten wissenschaftlich empfohlener Mindeststandards bei den Bildungs- und Betreuungsangeboten hält der Familienbund für bildungs- und familienpolitisch inakzeptabel.
Der Familienbund befürwortet daher eine klare Priorisierung der Handlungsfelder, insbesondere jener mit direktem Bezug zur Arbeit am bzw. mit dem Kind, was er vor allem bei den Handlungsfeldern 1-4 gegeben sieht. Aktuell sieht er den Schwerpunkt vor allem bei der Gewährleistung eines guten Fachkraft-Kind-Schlüssels sowie bei der Gewinnung und Sicherung qualifizierter Fachkräfte. Eine ausreichende Priorisierung hält der Familienbund im vorliegenden Entwurf für nicht gegeben.
Kritisch sieht der Familienbund auch die finanzielle Förderung der Beitragsentlastung im Zuge des Gesetzes, insbesondere, wenn damit eine vollständige Beitragsfreiheit für alle Eltern, unabhängig vom Einkommen, einhergeht. Vor einer entsprechenden Prioritätensetzung der Länder hat der Familienbund mehrfach gewarnt, unter anderem bereits in der Anhörung zum „Gute Kita - Gesetz“ 2017 und in der vorausgehenden schriftlichen Stellungnahme dazu. Diese Möglichkeit scheint vor allem ein Zugeständnis an die Länder zu sein, trägt jedoch wenig zum eigentlichen Ziel der Verbesserung von Qualität und Teilhabe bei, beziehungsweise könnte dieses Ziel sogar konterkarieren. Die vollständige Beitragsfreiheit für alle Eltern stellt keinen Qualitätsgewinn für Kitas dar. Schlimmstenfalls verschlechtert sie die Betreuungsqualität sogar durch den Wegfall der im System Kita dringend benötigten Finanzmittel. Hier schlägt der Familienbund vor, statt der völligen Beitragsfreiheit eine ausgewogene soziale Staffelung zu wählen, die Eltern mit geringem Einkommen spürbar entlastet, Eltern mit hohen Einkommen aber angemessen an der Finanzierung der Qualitätsentwicklung beteiligt. Angesichts der chronischen Unterfinanzierung der Kitas hält der Familienbund dieses Vorgehen für zielführender. Es liegt zudem im Interesse der betroffenen Familien: eine einkommensorientierte, zumutbare Kostenbeteiligung, mit der sichtbar ein qualitativ hochwertiges Kitaangebot entwickelt wird, entspricht ihren Erwartungen weit mehr als die Beitragsfreiheit bei notdürftiger Betreuungs- und Bildungsqualität. Eine Beitragsbefreiung für alle Familien hat für den Familienbund nachgeordnete Priorität und kommt als längerfristiges Ziel nach Sicherstellung von qualitativen Mindeststandards in Betracht.
In Bezug auf den weiteren Umgang mit den bereits bewilligten Beitragsentlastungen lässt der Gesetzentwurf einen gewissen Interpretationsspielraum, was die Fortführung dieser Maßnahmen nach dem 01.01. bzw. 30. Juni 2023 betrifft, insbesondere den Anteil, den die Beitragsreduzierungen im Gesamttableau der qualitätssteigernden Maßnahmen danach noch haben dürfen. Es erscheint die Auslegung naheliegend, dass bis zum 31.12.2022 vereinbarte Beitragsreduzierungen ohne zeitliche Begrenzung fortgeführt werden können, allerdings im Umfang geringer ausfallen müssen als Maßnahmen in den Handlungsfeldern 1-4 und 6-8. Offen bleibt, ob dieses Verhältnis für jede Maßnahme einzeln gilt oder für die Gesamtheit der geförderten Maßnahmen. Der Familienbund hält letzteres für naheliegend, so dass er davon ausgeht, dass die finanzielle Förderung von Beitragsreduzierungen laut Gesetzentwurf ab dem 01.01. 2023 nicht mehr als 49,9 Prozent betragen darf. Der Familienbund hält eine Reduzierung der Möglichkeiten, für Qualitätsverbesserungen vorgesehene Bundesmittel für Beitragsbefreiungen zu verwenden aus den oben bereits genannten Gründen für dringend geboten, der aktuelle Gesetzentwurf geht hier jedoch nicht weit genug. Mit Blick auf die nötige Qualitätsoffensive wäre ein vollständiges Auslaufen der Förderung von Beitragsentlastungen für alle Familien spätestens zum 30. Juni 2023 notwendig. Darüber hinaus sollte nur eine gezielte Unterstützung von einkommensschwächeren Familien im Sinne einer stärkeren Staffelung nach Einkommen möglich sein.
Insgesamt tritt der Familienbund für mehr Verbindlichkeit und Einheitlichkeit bei der Qualitätsentwicklung in Kitas ein. Aus seiner Sicht lassen sich erst auf diese Weise die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse beim Betreuungsangebot sowie eine echte Chancengerechtigkeit für Kinder erreichen. Er unterstützt daher das Ziel der Bundesregierung, bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode ein Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweiten Standards zu initiieren. Der Familienbund setzt sich seit längerem für Mindeststandards in zentralen Qualitätsbereichen ein. Der Fokus eines solchen Qualitätsgesetzes sollte vorrangig auf den Handlungsfeldern 2 bis 3 liegen, d.h. auf der Fachkräftegewinnung und der Fachkraft-Kind-Relation. Was die in der Gesetzesbegründung genannten gleichen Chancen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine in Quantität und Qualität bundesweit vergleichbare Kinderbetreuung betrifft, weist der Familienbund darauf hin, dass Eltern in jedem Fall die Möglichkeit gegeben werden muss, das Familienleben und die innerfamiliäre Aufgabenteilung entsprechend ihren Wünschen zu gestalten.
2. Zu den Inhalten des Gesetzesentwurfs im Einzelnen
2.1 Deutlich stärkere Priorisierung der Handlungsfelder
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass überwiegend Maßnahmen der Handlungsfelder 1-4 und 6-8 ergriffen werden sollen. Ab dem 01.01.2023 neu begonnene Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung in Kitas müssen zwingend diesen Handlungsfeldern entstammen (§ 2, neue Sätze 4 und 5). Haben die Länder bis zum Ablauf des Jahres 2022 Maßnahmen aus anderen Handlungsfeldern ergriffen und mit dem Bund vertraglich vereinbart, dürfen diese noch für einen Übergangszeitraum bis zum 30. Juni 2023 fortgeführt werden (§ 2, Absatz 2). Unter Umständen muss ihr Anteil jedoch reduziert werden, damit der angestrebte Vorrang der priorisierten Handlungsfelder gewährleistet wird. Ausnahmen sind, anders als bisher, nicht mehr möglich. Damit soll eine stärkere Vereinheitlichung und Fokussierung der Qualitätsentwicklung in den Ländern erreicht werden.
Der Familienbund unterstützt ausdrücklich das Ziel einer stärkeren Fokussierung und Einheitlichkeit bei den gewählten Maßnahmen. Auf diese Weise kann die nötige Annäherung der Länder bei der Qualitätsentwicklung der Bildungs- und Betreuungsangebote in Kitas erreicht und damit die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in der frühkindlichen Bildung und Betreuung gefördert werden. Beides führt schließlich dazu, dass die Qualität der Einrichtungen vom Wohnort und den Bedingungen vor Ort unabhängiger wird, was mehr Chancengerechtigkeit für alle Kinder bedeutet.
Um diese Annäherung der Bildungs- und Betreuungsqualität in den Kitas zu beschleunigen, plädiert der Familienbund für eine stärkere Priorisierung der Maßnahmen als im Gesetzentwurf vorgesehen. Aus seiner Sicht sollten vorrangig die bedarfs- und personalorientierten Maßnahmen aus den Handlungsfeldern 1 bis 4 im Zentrum der Qualitätsentwicklung stehen, mit einem besonderen Schwerpunkt auf dem Fachkraft-Kind-Schlüssel sowie der Gewinnung und Sicherung von Fachkräften. Beides Bereiche, in denen gegenwärtig die größten Herausforderungen mit Blick auf Quantität und Qualität der Kita-Angebote liegen. Verbesserungen bei der direkten Arbeit mit den Kindern hätten durch eine stärkere Konzentration auf die Handlungsfelder 2 und 3 einen deutlichen Vorrang vor allen anderen Maßnahmen.
Es ist für den Familienbund dagegen nicht ersichtlich, warum die Handlungsfelder 6 und 8 ab 2023 zu den prioritären Entwicklungsfeldern zählen sollen. Diese Ausweitung widerspricht der Einschätzung der Evaluation, dass die gewählten Maßnahmen der Länder möglichst auf weniger Handlungsfelder begrenzt werden sollten. Die Bundesregierung begründet die Aufnahme als prioritäre Handlungsfelder mit den gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder sowie mit der Empfehlung aus der Evaluation des Gute-Kita-Gesetzes, die Tagespflege stärker in den Blick zu nehmen.[2] Das Handlungsfeld 6 (Gesundheit) erscheint in seiner Formulierung jedoch äußerst weit gefasst, so dass der Familienbund hier die Gefahr sieht, damit ein Sammelbecken eher unkonkreter Maßnahmen zu priorisieren. Dies gilt umso mehr im Vergleich mit der offensichtlichen Dringlichkeit von Maßnahmen aus den Handlungsfeldern 2 bis 4, die in der Evaluation ebenfalls als wesentlich definiert wurden.[3] Zweifellos haben die Schließungen von Kitas, Freizeiteinrichtungen, Sportvereinen sowie die allgemeinen Unwägbarkeiten während der Corona-Pandemie für einige Kinder zu belastenden gesundheitlichen Folgen geführt. Es stellt sich aus Perspektive des Familienbunds jedoch zusätzlich zu den genannten Kritikpunkten die Frage, ob die Beseitigung psychologischer oder physischer Corona-Folgen bei den Kitas tatsächlich passend angesiedelt wäre oder ob hier nicht andere Institutionen und Professionen vorrangig tätig werden sollten.
Skeptisch ist der Familienbund auch hinsichtlich der vorgesehenen Priorisierung der Tagespflege (Handlungsfeld 8). Die Bundesregierung führt im Gesetzentwurf an, dass die Tagespflege mit gut 16 Prozent Betreuungsanteil ein wichtiges Angebot der frühkindlichen Bildung und Betreuung ist.[4] Sie bezieht sich damit jedoch ausschließlich auf die Gruppe von Kindern unter drei Jahren. Daten des Statistischen Bundesamts von März 2021 zeigen, dass deutschlandweit 129.406 Kinder im Alter von 0 bis unter 3 Jahren und 19.973 Kinder von 3 bis 6 Jahren in der Kindertagespflege betreut wurden.[5] Demgegenüber haben im gleichen Zeitraum knapp 2.870.000 Kinder eine Kindertagesstätte besucht.[6] Die Kindertagespflege ist ein relevanter Bestandteil der elterlichen Wahlfreiheit bei der gewünschten Betreuungsform und stellt eine wichtige Säule der Betreuung, gerade von sehr kleinen Kindern, dar. Auch hier muss eine gute Qualität gesichert werden. Den Anlass für eine prioritäre Behandlung sieht der Familienbund auf Basis der Nutzungszahlen sowie mit Blick auf die dringlichen Herausforderungen im Kita-Bereich jedoch nicht gegeben.
Plausibel erscheint dagegen die Aufwertung der Maßnahmen zur Sprachförderung, da das Bundesprogramms „Sprach-Kitas“ zum Ende des Jahres 2022 auslaufen wird. Es bleibt allerdings fraglich, ob die Überführung der finanziellen Förderung des Schwerpunkts Sprache und Teilhabe in das Kita-Qualitätsgesetz und damit vom Bund auf die Länder an den Erfolg des Bundesprogramms anknüpfen kann, wie unter 2.5 weiter ausgeführt wird.
Insgesamt spricht sich der Familienbund für eine Fortsetzung der bisherigen Priorisierung der Handlungsfelder 1-4 (mit deutlichem Schwerpunkt auf den Feldern 2 und 3) sowie ergänzend für eine Aufnahme des Handlungsfeldes 7 aus.
2.2 Keine weitere Förderung unspezifischer Beitragsreduzierungen
Die Bundesregierung nennt in der Gesetzesbegründung das Ziel, basierend auf den Erkenntnissen der Evaluation des Ersten Kita-Qualitätsgesetzes (Gute-Kita-Gesetz) eine Budgetkonkurrenz von Maßnahmen zur Beitragsentlastungen und zur Qualitätsentwicklung zu vermeiden.[7] Der Gesetzentwurf sieht entsprechend vor, dass ab dem 01.01.2023 keine neuen Maßnahmen zur Beitragsreduzierung mehr förderfähig sind (§2, neue Sätze 4 und 5). Förderfähig sind abweichend dazu dennoch Maßnahmen zur Entlastung der Eltern bei den Beiträgen, sofern diese bereits vor Ablauf des Jahres 2022 zwischen Bund und Ländern vereinbart wurden (§2, Neufassung Satz 2). Etwas unklar bleibt der Gesetzentwurf in Bezug auf den weiteren Umgang mit den bereits bewilligten Beitragsentlastungen. Es erscheint die Auslegung naheliegend, dass bereits vereinbarte Beitragsreduzierungen ohne zeitliche Begrenzung fortgeführt werden können, jedoch nur noch bis zu einem Anteil von maximal 49,9 Prozent gefördert werden, da überwiegend Maßnahmen in den Handlungsfeldern 1-4 und 6-8 zu wählen sind (§2, Absatz 2 und Satz 4 sowie Besonderer Teil, S.17f).
Dass die Beitragsreduzierung mit dem vorgelegten Entwurf ab 01.01.2023 nicht mehr als qualitätssteigernde Maßnahme deklariert werden kann, begrüßt der Familienbund, zumal bisher in einigen Fällen der Eindruck entstand, dass von den Ländern ohnehin geplante Beitragsreduzierungen auf diese Weise durch Bundesmittel finanziert wurden. Der Familienbund kritisiert allerdings sehr deutlich, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf an der Möglichkeit der geförderten Beitragsreduzierung festhält, sofern es um die Fortführung bestehender Vereinbarungen geht - trotz der kritischen Äußerungen der Evaluation. Im Grunde erlaubt der Wortlaut des Gesetzentwurfes sogar eine neue Finanzierung von Beitragsreduzierungen, sofern diese bis zum 31.12.2022 vereinbart wird.
Die Möglichkeit der Reduzierung von Kitabeiträgen zur Entlastung von Eltern ist eine mit dem Gute-Kita-Gesetz eingeführte Maßnahme der Förderung, die dort als nachgelagerter Absatz des §2 neben die eigentlichen, qualitätsorientierten Handlungsfelder tritt. Damit wird aus Sicht des Familienbundes deutlich, dass eine Beitragsreduzierung auch vom Gesetzgeber eben gerade nicht zu den zehn Handlungsfeldern gezählt wird, die der Qualitätsentwicklung dienen. Sie scheint in der unbestimmten Formulierung vor allem ein Zugeständnis an die Länder gewesen zu sein. Eine Finanzierung von unspezifischen Beitragsentlastungen bis hin zur völligen Beitragsfreiheit für alle Eltern, unabhängig vom Einkommen, aus Mitteln für die Qualitätsentwicklung lehnt der Familienbund ab. Eine allgemeine Beitragsentlastung stellt keinen Qualitätsgewinn für Kitas dar. Schlimmstenfalls verschlechtert sie die Betreuungsqualität sogar durch den Wegfall der im System Kita dringend benötigten Finanzmittel.
Laut Evaluationsbericht von 2021 machen bisher elf Bundesländer von der Möglichkeit der Förderung von Beitragsreduzierungen Gebrauch, im Umfang von gut 13 bis hin zu 100 Prozent der geförderten Maßnahmen.[8] Im Zuge der vorgesehenen Reform, dass die Länder ab Sommer 2023 Maßnahmen überwiegend in den priorisierten Handlungsfeldern ergreifen sollen, würde für drei dieser Bundesländer eine Kürzung von Fördermitteln im Bereich der Beitragsreduzierung anstehen, da diese derzeit über 49,9 Prozent liegen und sie damit die neue Voraussetzung nicht erfüllen. Alle anderen bereits vereinbarten Beitragsentlastungen seitens der Länder würden jedoch auch mit dem aktuellen Gesetzentwurf weiter vom Bund finanziert. Damit jedoch setzt sich die Konkurrenz zwischen qualitativen und finanziellen Maßnahmen weiter fort – mit der Gefahr, dass durch diese Verwendung der Bundesmittel das Ziel einer spürbaren und bundesweiten Qualitätssteigerung in den Kitas konterkariert wird. Mit Blick auf die nötige Qualitätsoffensive hält der Familienbund ein vollständiges Auslaufen der Förderung von einkommensunabhängigen Beitragsentlastungen spätestens zum Stichtag 30. Juni 2023 für angebracht. Lediglich die Unterstützung von Maßnahmen für eine stärkere soziale Staffelung nach Einkommen und Kinderzahl könnte sich der Familienbund auch über dieses Datum hinaus vorstellen.
2.3 Verbindliche Staffelung der Kostenbeiträge anhand der Leistungsfähigkeit
Mit dem ersten Kita-Qualitätsgesetz wurde die soziale Staffelung der Elternbeiträge für die Kinderbetreuung eingeführt. Die Kriterien für die Staffelung wurden allerdings als Kann-Bestimmung geregelt. Nach den negativen Ergebnissen der Evaluation sollen diese Kriterien mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nun verpflichtend werden (§ 90 Absatz 3, Neufassung Satz 2). Der Familienbund begrüßt diese Entscheidung und unterstützt eine verbindliche Ausrichtung der Beiträge am Einkommen der Eltern sowie an der Zahl der kindergeldberechtigten Kinder. Gerade angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Krise, aber auch mit Blick auf die übergeordneten Ziele von Chancengleichheit und Teilhabe muss dringend vermieden werden, dass zu hohe Kostenbeteiligungssätze Eltern von der Inanspruchnahme einer Kinderbetreuung abhalten.[9] Die Bundesregierung verweist selbst darauf, dass dies bisher nicht gelungen ist und Familien mit geringen Einkommen deutlich stärker durch Kita-Beiträge belastet werden als Familien mit höheren Einkommen (zehn bzw. vier Prozent des Einkommens).[10] Nur knapp ein Drittel der Länder wendet bisher die soziale Staffelung von Beiträgen an. In den meisten der elf Länder mit aus Qualitätsmitteln finanzierten Beitragsentlastungen werden die Eltern zudem unabhängig von ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit entlastet.[11] Bei der Entlastung von Eltern insbesondere mit geringen Einkommen sieht der Familienbund daher dringenden Handlungsbedarf.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hält er jedoch eine konsequent an der Leistungsfähigkeit der Eltern orientierte Staffelung der Beiträge für zielführender als eine generelle Beitragsfreiheit bzw. -entlastung für alle. Während die vollständige Beitragsfreiheit die qualitative Verbesserung der Betreuung und Bildung in Kitas zu untergraben droht, kann eine angemessene Beteiligung einkommensstärkerer Eltern an den Kosten die zwingend nötige Qualitätsentwicklung durch zusätzliche Finanzmittel im System Kita fördern. Ein solche einkommensorientierte Staffelung liegt auch im Interesse der Familien: eine sozial ausgewogene Kostenbeteiligung, mit der erkennbar ein qualitativ hochwertiges Kitaangebot gefördert wird, entspricht ihren Erwartungen weit mehr als die Beitragsfreiheit bei notdürftiger Betreuungs- und Bildungsqualität. Eine Beitragsbefreiung für alle Familien hat für den Familienbund nachgeordnete Priorität und kommt als längerfristiges Ziel nach der Sicherstellung von qualitativen Mindeststandards in Betracht.
Die Bundesregierung sollte im neuen Kita-Qualitätsgesetz noch stärker darauf hinwirken, dass insbesondere das Einkommen sowie die Anzahl unterhaltsberechtigter Kinder die zentralen Staffelungskriterien sind und die finanziellen Verhältnisse dabei möglichst kleinschrittig berücksichtigt werden, um für mehr soziale Gerechtigkeit bei der Kostenbeteiligung zu sorgen. Wünschenswert wären etwa zusätzlich Richtwerte für die Länder hinsichtlich geeigneter Staffelungsschritte. Auch wenn die kostenbildenden Gegebenheiten sowie die Einkommensverteilung in den Ländern variieren, wäre aus Perspektive der Familien eine größere Einheitlichkeit bei der Ermittlung der Beiträge erstrebenswert. Auch das Inkrafttreten des Artikels zu den verbindlichen Staffelungskriterien erst zum 01. August 2023, d.h. zum Beginn des neuen Kitajahres, sollte im Interesse der Familien gegebenenfalls noch einmal überdacht werden.
2.4. Wissenschaftliche Expertise und Elternperspektive bei Auswahl der Handlungsfelder einbeziehen
Mit dem Gesetzentwurf will die Bundesregierung die Wahl der Handlungsfelder durch die Länder stärker als bisher von vorliegenden Daten aus der Evaluation und dem Monitoring der Qualitätsentwicklung abhängig machen und dabei auch den realen Bedürfnissen von Familien mehr Gewicht geben (§3, Neufassung Absatz 3 sowie Begründung Allgemeiner Teil S.7f).
Der Familienbund hält diese Aufwertung grundsätzlich für begrüßenswert. Einen Widerspruch sieht er allerdings in der Ankündigung, dass entsprechende Monitoringberichte dann nur noch im zweijährigen Rhythmus zu erstellen sind (§6, Absatz 2, Satz 1 sowie Begründung Allgemeiner Teil S.8). Grundsätzlich plädiert der Familienbund dafür, die Länder zu einer umfassenden Analyse der aktuellen Ausgangslage anhand einheitlicher Kriterien sowie zu einer sichtbaren Veröffentlichung der Evaluationen der unternommenen Schritte und Maßnahmen anzuregen. In Anlehnung an die Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) zu Beobachtung der Situation an Schulen nach Corona[12] wäre auf diese Weise auch im Kitabereich eine gewisse bundesweite Vergleichbarkeit trotz unterschiedlicher Ausgangsbedingungen und Maßnahmen möglich und damit auch eine zielorientierte Bewertung von Erfolg oder Misserfolg getroffener Maßnahmen, nicht zuletzt von Seiten der Familien.
Der Familienbund begrüßt, dass die Einschätzungen von Familien zum aktuellen Kitaangebot offenbar stärker bei der Wahl von Handlungsfeldern und Maßnahmen der Qualitätsentwicklung berücksichtigt werden sollen. Er weist jedoch darauf hin, dass weiterhin wissenschaftliche Standards den zentralen Maßstab für die Qualitätsentwicklung in den Ländern bilden sollten, den die Familienperspektive durchaus sinnvoll ergänzt.
2.5. Sprachentwicklung und Teilhabe gezielt weiter fördern
Der Antrag der Fraktion CDU/CSU im Bundestag fordert die Bundesregierung auf, das Auslaufen des Bundesförderprogramms zu revidieren und sich für eine Fortsetzung bzw. Weiterentwicklung einzusetzen, um so der sprachlichen Entwicklung Priorität einzuräumen, mit entsprechender finanzieller Flankierung in den Haushaltsjahren 2023 und 2024.
Der Familienbund schließt sich dieser Forderung weitgehend an. Die wissenschaftliche Evaluation bescheinigt dem Bundesprogramm spürbaren Erfolg bei der sprachlichen Förderung und der damit verbundenen sozialen Teilhabe. In vielen Kitas verbesserte sich außerdem für alle Kinder das generelle Anregungsniveau und die Betreuung durch zusätzliches, oft akademisch ausgebildetes Personal. Das Programm erzielte damit Wirkung weit über die primär adressierten Kinder mit Migrationshintergrund bzw. einer anderen Muttersprache hinaus.[13] Im Koalitionsvertrag sowie in parlamentarischen Anfragen und thematischen Veranstaltungen hatte die Bundesregierung wiederholt die Verstetigung des Programms angekündigt. Auch im Entwurf für das Zweite Kita-Qualitätsgesetz stellt die Bundesregierung wiederholt die große Bedeutung sprachlicher Entwicklung und Förderung für die Zukunftschancen von Kindern heraus (Begründung, Besonderer Teil, S.15). Angesichts dieser Einschätzung ist es schwer nachvollziehbar, dass sich die Ampelkoalition im Juli 2022 gegen die Fortsetzung des Programms „Sprach-Kita“ entschieden hat. Es wäre sehr wichtig, das Programm weiterzuführen. Aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen hält der Familienbund eine Wiederauflage des Bundesprogramms allerdings derzeit für unwahrscheinlich. Er plädiert daher pragmatisch für eine zügig zu entwickelnde Übergangslösung, bei der auch die bisherigen Finanzmittel aus dem Bundesprogramm (ca. 240 Mio. für das Programm inkl. Sonderzahlungen aus dem Programm „Aufholen nach Corona“) sachgerecht in die Länderförderung überführt werden.
In positiver Lesart könnte man gegebenenfalls auch zu der Einschätzung kommen, dass die von der Regierung geplante Überführung der Sprachförderung in das Kita-Qualitätsgesetz, und damit in die Zuständigkeit der Länder, durchaus eine Verstetigung darstellt, da die Förderung der Sprachentwicklung damit in die reguläre Kitaentwicklung eingebunden wird. Der Familienbund wirft jedoch die kritische Frage auf, ob die gewählte Reihenfolge dafür günstig und zielführend war. Um die gewonnenen Fachkräfte zu halten und entstandene Strukturen weiter nutzen zu können, wäre es aus seiner Sicht vorteilhafter gewesen, das Bundesprogramm zumindest solange fortzuführen, bis die Länder eigene Maßnahmen im Handlungsfeld Sprachförderung ergriffen haben. Angesichts der Unsicherheit über die Fortführung haben inzwischen viele gut ausgebildete Fachkräfte die Kitas verlassen, vorhandene Strukturen der Zusammenarbeit innerhalb der Einrichtungen und mit externen Kooperationspartnern drohen zu zerbrechen oder sind es schon. Dadurch droht insgesamt wichtiges Erfahrungswissen verloren zu gehen. Aus Sicht des Familienbundes ist das die denkbar schlechteste Ausgangslage, um die Sprachförderung auf die Länder zu übertragen. Es ist zu befürchten, dass viele Länder wertvolle Zeit brauchen werden, um neue Fachkräfte und Strukturen zu etablieren. Zeit, die zulasten der Bildungs- und Teilhabechancen der heute betroffenen Kinder geht. Der Familienbund sieht außerdem die Gefahr, dass auf länderspezifische Einzellösungen gesetzt wird und damit die eigentlich gewünschte bundesweite Annäherung deutlich zurückgeworfen wird.
Die Bundesregierung hat zuletzt erklärt, aktuell an einer Übergangslösung mit den Ländern zu arbeiten. Es ist fraglich, ob die verbleibende Zeit bis zum Jahresende 2022 dafür noch reicht und inwieweit diese Lösung angesichts der geschilderten Auflösungserscheinungen von Personal und Strukturen noch wirksam werden kann. Zugleich sieht der Familienbund hier auch die Länder in der Verantwortung, die Sprachförderung aktiv voranzutreiben und dieses Handlungsfeld für die Weiterentwicklung der Kitaqualität tatsächlich auszuwählen, um mit dieser Art der Grundlagenbildung Chancengerechtigkeit und die Teilhabe aller Kinder wirksam zu fördern.
[1] Vgl. Ländermonitoring frühkindliche Bildung, 2021, Bertelsmann-Stiftung.
[2] BR-Drs. 408/22, S.6
[3] Ebd.
[4] BR-Drs. 408/22, Begründung Besonderer Teil, S.15
[5] Statistisches Bundesamt, Kinder in öffentlich geförderter Kindertagespflege, März 2021.
[6] Statistisches Bundesamt, Kinder in Tageseinrichtungen, Stichtag März 2021.
[7] BR-Drs 408/22, S.2, 6, 14 sowie Evaluationsbericht BT-Drs. 19/32640, S.14f.
[8] Vgl. Monitoringbericht des BMFSFJ, 2021 sowie Evaluationsbericht 2021, in BT-Drs. 19/32640, S.132ff. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Beitragsentlastung die einzige Maßnahme im Rahmen des Ersten Kita-Qualitätsgesetzes. Alle Maßnahmen zur Entlastung der Eltern bei den Gebühren banden laut Evaluationsbericht knapp 30 Prozent des verplanten Mittelvolumens.
[9] Vgl. Evaluationsbericht 2021, in BT-Drs. 19/32640, S.132
[10] BR-Drs. 408/22 S.2
[11] Evaluationsbericht 2021, in BT-Drs. 19/32640, S.147
[12] SWK Impulspapier: Entwicklung von Leitlinien für das Monitoring und die Evaluation von Förderprogrammen im Bildungsbereich, Mai 2022.
[13] Der Familienbund weist darauf hin, dass eine andere Muttersprache als Deutsch keinesfalls als Defizit zu betrachten ist. Er hält das sichere Erlernen der jeweiligen Sprache im Land des Aufenthalts für zentral als Basis für eine gelingende soziale Teilhabe und den weiteren Bildungs- und Lebensweg. Die Muttersprache ist dabei eine wichtige Ressource, auf die aufgebaut werden sollte.
Berlin, 11.10.2022
Familienbund der Katholiken (Bundesverband)
Kontakt: Ivonne Famula, Matthias Dantlgraber
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