15.03.2024

Stellungnahme zu Kinderzukunftsprogramm starten und mit zehn Maßnahmen zum Erfolg führen

Erziehung, Bildung und Betreuung
Stellungnahmen
Ein Mädchen ist von hinten zu sehen. Sie meldet sich im Unterricht.

Die Stellungnahme können Sie hier herunterladen.

I. Einleitende Bemerkungen

Der Familienbund der Katholiken bewertet es als sehr positiv, dass der vorliegende Antrag die wichtigen Themen der Bildung und Bildungsgerechtigkeit ins Zentrum der familienpolitischen Diskussion rückt. Die bestmögliche Bildung von Kindern und Jugendlichen ist eine der großen Zukunftsherausforderungen unserer Gesellschaft – neben dem Erhalt einer intakten Umwelt und der eng mit der demografischen Entwicklung verknüpften langfristigen Sicherung der Altersvorsorge. Diese Zukunftsherausforderungen haben gemeinsam, dass die Zielsetzungen von einem breiten, überparteilichen Konsens getragen werden (vgl. aktueller Koalitionsvertrag 2021-2025), aber die Maßnahmen zur Zielerreichung weit hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Es besteht das strukturelle Problem, dass die Politik mit großem zeitlichem Vorlauf tätig werden muss, während sich die Folgen des politischen Handelns oder Unterlassens erst viele Jahre später zeigen. Der systemimmanente Blick der Politik auf die nächste Wahl führt zur „Verherrlichung der Gegenwart und der Vernachlässigung der Zukunft“ (Richard von Weizsäcker). Verantwortliche Politik muss aber die Interessen der kommenden Generationen im Blick haben und ihnen ausreichendes Gewicht einräumen.

Im Bereich der Bildung besteht mit Blick auf die Bildungsstudien der jüngsten Vergangenheit dringender Handlungsbedarf: Nach dem IQB-Bildungstrend 2021verfehlt jedes fünfte Kind in der vierten Klasse die Mindeststandards im Lesen (18,8 %) und in Mathematik (21,8 %).[1] Nach der IGLU-Lesestudie von 2022 erreicht jedes vierte Kind in der vierten Klasse „nicht den Standard für eine Lesekompetenz, die für einen erfolgreichen Übergang vom Lesen-Lernen zum Lesen, um zu lernen, notwendig ist“[2]. Laut der im Dezember 2023 veröffentlichten PISA-Studie (PISA 2022) verfehlt im Lesen jede vierte 15-jährige Person (25 %) die Mindestanforderungen, in Mathematik sogar jede dritte (30 %). Alle Studien zeigen, dass sich die Ergebnisse in den letzten Jahren deutlich verschlechtert haben, und verweisen auf eine Korrelation zwischen den Ergebnissen und dem soziökonomischen Status der Familien, oft in Verbindung mit einem Migrationshintergrund (doppelte Benachteiligung). Die Bildungseinbußen in der Corona-Pandemie haben die Studienergebnisse insgesamt verschlechtert und zugleich die Schere zwischen den leistungsstarken und den leistungsschwachen Kindern vergrößert. Die zu erwartenden Folgen der Bildungsmisere sind gravierend sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Ebene.

Für den Familienbund müssen diese Entwicklungen Anlass sein, das Thema Bildung ganz oben auf die politische Agenda zu setzen. Sätze wie „100 Milliarden Euro für Bildung“[3] mögen plakativ klingen oder nach dem jüngsten Haushaltsurteil des BVerfG[4]  auch ein wenig aus der Zeit gefallen wirken. Die Dringlichkeit des Problems und der bestehende Reformstau werden darin aber durchaus angemessen erkennbar. Die im Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen sind überwiegend positiv zu bewerten (dazu im Einzelnen unter II.). Wenn der vorliegende Antrag den Umfang des vorgeschlagenen „Kinderzukunftsprogramms“ auf die „zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“ beschränkt, kann dies nur ein erster Schritt sein. Um die bestehenden Probleme zu lösen, sind Zukunftsinvestitionen und eine langfristige Stärkung der Bildungspolitik auf allen politischen Ebenen erforderlich.

Freilich ist eine erfolgreiche Bildungspolitik nicht nur eine Frage des Geldes. Im internationalen Vergleich sind die deutschen Ausgaben von beispielsweise durchschnittlich rund 10.000 Euro pro Jahr und Schüler:in nicht wenig.[5] Daraus ließe sich mehr machen. Erforderlich ist, dass Bildung priorisiert und der Föderalismus zukunftsfähig und effizient aufgestellt wird. Aus Sicht des Familienbundes muss mit Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip sowohl eine stärkere Rahmensetzung und Qualitätssicherung auf Bundesebene erfolgen als auch einzelnen Bildungsinstitutionen mehr Freiheiten eingeräumt werden, um die vor Ort bestehenden Probleme zielgenau anzugehen. Da Bildungspolitik derzeit überwiegend Ländersache ist, während der Bund Möglichkeiten der Unterstützung und finanziellen Förderung hat, weist der Antrag zu Recht darauf hin, dass eine „gute Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen“ erforderlich ist.

Im Antrag steht primär die Bildung und Förderung jüngerer Kinder im Fokus. Dies ist mit Blick auf eine möglichst früh ansetzende Armutsprävention und die Länderkompetenz für Bildung nachvollziehbar. Für einen umfassenden Ansatz müssen jedoch auch die Zukunftschancen von Jugendlichen – mit entsprechenden Unterstützungssystemen und mehr Bildungsgerechtigkeit auch für diese Altersgruppe – gewährleistet sein. Wenn Bund, Länder und Kommunen sich zu den Bildungsfragen abstimmen, sollte das im Blick sein.

Eine Stelle des Antrags lässt sich so lesen, dass Bildungs- und Infrastrukturleistungen generell vorzugswürdig gegenüber Transferleistungen seien.[6] An der richtigen Stelle eingesetzt können Geldleistungen jedoch sehr effizient und wichtig für Familien sein. Der Kinderzuschlag unterstützt z.B. gezielt Familien, die für wenig Geld arbeiten gehen. Dass der Antrag die Bedeutung von zielgenauen Geldleistungen durchaus sieht, zeigt die vorgeschlagene Maßnahme Nr. 9, die eine fortlaufende Anpassung des Kindergeldes und eine Reform des Kinderzuschlags vorsieht („Kinderzukunftsgeld“). Für den Familienbund sind Geldleistungen für Familien ein zentraler Baustein guter Familienpolitik. Sie müssen als komplementär und dürfen keinesfalls als alternativ zu Infrastrukturinvestitionen gesehen werden.

Richtig ist die im Antrag erkennbare Konzentration auf benachteiligte Kinder – also auf diejenigen, bei denen die oben genannten Studien besonderen Unterstützungs- und Förderbedarf festgestellt haben. Denn der Bildungserfolg der Kinder darf weder von sozio-ökonomischen Status noch von der Herkunft der Familie abhängen. Die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem und in der Gesellschaft muss verbessert werden und zukünftig gewährleistet sein. Bildung ist zudem ein wichtiges Mittel der Armutsprävention. Ein richtiger aktueller Ansatz der Bundesregierung zur Unterstützung von Kinder mit besonderen Herausforderungen ist das Startchancen-Programm.[7] Das alleine reicht aber nicht für das im Koalitionsvertrag ausgerufene „Jahrzehnt der Bildungschancen“[8]. Hierfür sind weitere Maßnahmen erforderlich. 

 

II. Bewertung der einzelnen Vorschläge

1.Stärkung der Frühen Hilfen (Maßnahme Nr. 1)

Der Familienbund unterstützt eine Stärkung der frühen Hilfen. Der aktuelle Koalitionsvertrag hat einen Bedarf bei den frühen Hilfen erkannt und sieht vor, „die Mittel der ‚Stiftung Frühe Hilfen‘ [zu] dynamisieren“. Das erscheint angesichts der hohen Inflation erforderlich, um die frühen Hilfen auf dem bestehenden Niveau aufrechtzuerhalten. Eine bestehende Unterdeckung wird aber nicht aufgefangen. Dass ein erhöhter Bedarf vorliegt, haben der Bundesrat und der ‚Beirat der Bundesstiftung Frühe Hilfen und des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH)‘ überzeugend begründet. Gründe sind u.a. gestiegene Geburtenzahlen, die Zunahme von psychischen Belastungen und Erkrankungen in Familien und die Zunahme von geflüchteten Familien.[9] Eine Mittelerhöhung über die bloße Inflationsanpassung hinaus, wäre daher angemessen.

2. Einführung einer bundesweit einheitlichen Diagnostik des Entwicklungsstands von Kindern und Einführung einer verpflichtenden Vorschulförderung beim Förderbedarf (Maßnahmen Nr. 2 und 3)

Es ist richtig, Kinder mit Förderungsbedarf möglichst frühzeitig zu fördern. Je früher die Förderung erfolgt, desto wirksamer ist sie. Alle Familien sollten ein gutes Angebot an Kinderbetreuung vorfinden, das nicht nur für die Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherstellt, sondern auch die Kinder auf ihrem Bildungsweg unterstützt und deren Entwicklung fördert. Das Angebot sollte so gut sein, dass es Familien – soweit gewünscht – gerne im Sinne ihrer Kinder in Anspruch nehmen. Förderangebote, die durch ihre Qualität für die freiwillige Inanspruchnahme durch die Eltern werben, ist für die meisten Familien der richtige Weg.

Wenn der Förderbedarf so gravierend ist, dass er – z.B. im Fall ungenügender Sprachkenntnisse oder anderer fehlender Grundkompetenzen und Lernvoraussetzungen – die gesamte Bildungskarriere gefährdet, erscheint auch eine verpflichtende Vorschulförderung sachgerecht (vgl. Antrag, Maßnahme Nr. 3). Wenn Kinder dem Unterricht von Anfang an nicht folgen können, hat das nicht nur für ihre Bildung, sondern auch für ihr Wohlbefinden schwere Folgen.

Der Antrag führt hier nicht näher aus, wie diese Förderung konkret ausgestaltet werden soll, ob beispielsweise an eine Kitapflicht (z.B. im letzten Jahr vor der Einschulung) gedacht ist. Eine Förderpflicht im Vorschulalter ist ein Eingriff in das Elternrecht. Sie müsste und könnte so ausgestaltet werden, dass sie auf Fälle beschränkt wird, in denen eine verpflichtende Förderung zum Schutz des Kindeswohles erforderlich und verhältnismäßig ist. Denn Kinder und Jugendliche haben nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit […] Sie bedürfen des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln.“[10] Für die Ermittlung des Förderbedarfs braucht es eine anerkannte Diagnostik. Wenn es gelänge, hier zu bundesweit einheitlichen Standards zu kommen (vgl. Antrag, Maßnahme Nr. 2), wäre das sinnvoll. Der Familienbund hält im Bereich der Kindertagesbetreuung generell bundesweit einheitliche Mindeststandards in grundlegenden Qualitätsbereichen für richtig.

Der Besuch einer Kita kann durch den Kontakt mit anderen Kindern und den Erzieherinnen und Erziehern helfen, die für den späteren Schulbesuch nötigen Sprachfähigkeiten zu erlernen und wichtige soziale Kompetenzen zu erwerben. Dennoch kann der Kitabesuch allein noch nicht mit guter Förderung gleichgesetzt werden – insbesondere nicht für Kinder mit besonderem Förderbedarf. Dafür braucht es eine ausreichend hohe Bildungsqualität und hinreichende Anregungsmöglichkeiten. Die Bildungsqualität hängt wesentlich davon, ab, dass ausreichend qualifiziertes Personal zur Verfügung steht. Für die spezifische Förderung von Kindern mit besonderen Entwicklungsbedarfen in einzelnen Bereichen braucht es besonders ausgebildete Fachkräfte. Wenn eine Förderpflicht eingeführt wird, muss die Förderung qualitativ hochwertig sein. Es ist daher folgerichtig, dass der Antrag zugleich Maßnahmen zur Gewinnung von qualifiziertem Personal vorsieht (vgl. Antrag, Nr. 8).

3. Grundlegende Stärkung der Sprachförderung (Maßnahme Nr. 4)

Der Familienbund unterstützt den Ansatz, die Sprachförderung zu stärken. Gute Kenntnisse in der deutschen Sprache sind eine Grundvoraussetzung für den weiteren Bildungserfolg. Sprache ist der Schlüssel für Bildung und Teilhabe für alle.[11] Vor diesem Hintergrund hat es der Familienbund kritisiert, dass die Bundesregierung das Bundesprogramm Sprach-Kitas entgegen der Ankündigungen im Koalitionsvertrag nicht verstetigt hat – gerade auch vor dem Hintergrund, dass es sich um ein positiv evaluiertes Programm gehandelt hat. Positiv ist, dass die Bundesregierung auf die zahlreichen Proteste reagiert hat und das geplante Ende des Bundesprogramms um ein halbes Jahr bis zum 30. Juni 2023 verschoben hat. Dadurch wurden die Chancen eröffnet, die Sprachförderung auf Landesebene weiterzuführen und Strukturen und Fachkräfte zu erhalten. Viele Bundesländer führen das Programm zumindest modifiziert und befristet fort.[12] Einige verwenden dafür Bundesmittel aus dem KiTa-Qualitätsgesetz – die dafür aber in anderen Qualitätsbereichen fehlen. Die Mittel für Sprachförderung sollten aus Sicht des Familienbundes sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene gesichert und erhöht werden.

Der Familienbund hält es für richtig, bei Kindern mit Migrationshintergrund auch die bestehenden Kenntnisse der Herkunftssprachen als Ressource zu sehen. Gute Kenntnisse in einer Sprache erleichtern auch den Erwerb weiterer Sprachen. In einer sich globalisierenden Welt ist Mehrsprachigkeit eine wichtige Kompetenz. Der ressourcenorientierte Ansatz, dass Kinder neben einem eventuell vorhandenen Sprachförderbedarf in der deutschen Sprache auch sprachliche Kompetenzen in einer anderen Sprache haben, kann ihr Selbstvertrauen und ihre Lernmotivation stärken. Von einem Kontakt mit Fremdsprachen können auch Kinder mit deutscher Muttersprache profitieren. Auch wenn der Erwerb guter Kenntnisse in der deutschen Sprache in der Förderung Priorität haben sollte, erscheint es sachgerecht, sich darüber Gedanken zu machen, wie auch die anderen Sprachkenntnisse der Kinder erhalten, gefördert und für den Bildungserfolg nutzbar gemacht werden können. 

Gute Sprachförderung setzt ebenfalls qualifiziertes Personal voraus (vgl. Antrag, Maßnahme Nr. 8).

4. Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Kita und Grundschule (Maßnahme Nr. 5)

Der Familienbund unterstützt den Ansatz, dass die Bildung in Kitas und Schulen besser ineinandergreifen sollte. Eine verbesserte Zusammenarbeit an diesem Bildungsübergang entlastet auch Eltern, die gerade bei besonderen Unterstützungsbedarfen ihres Kindes beim Eintritt in die Schule häufig wieder „von vorne anfangen“ müssen hinsichtlich Informationen und Zusammenarbeit mit den Pädagoginnen und Pädagogen. Letztlich kann ein besserer Übergang von der Kita zur Grundschule auch zum Türöffner für eine gestärkte Erziehungs- und Bildungspartnerschaft auf Augenhöhe werden.

Falls die Zuständigkeiten verändert werden sollen, müsste dies im Rahmen des oben angesprochenen Zieles (vgl. I.) erfolgen, den Föderalismus zukunftsfähig und effizient aufzustellen. Zu diesem Zweck sollten sich der Bund und die Länder verständigen. Der Bund sollte das Recht der Rahmensetzung und Qualitätssicherung haben. In diesem Rahmen sollten die Länder das Recht haben, eigene Wege zu gehen und Prioritäten zu setzen. Im Bereich der Kindertagesbetreuung sollte der Bund das Recht behalten, Mindestqualitätsstandards in zentralen Qualitätsbereichen aufzustellen, um gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet herzustellen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG).[13] Die Ländern müssten über die Umsatzsteuerverteilung ausreichende Mittel erhalten, um die Mindeststandards erfüllen zu können. Die gegenwärtige Förderung der Kitaqualität (Gute-Kita-Gesetz, KiTa-Qualitätsgesetz) erscheint mit der Notwendigkeit, Einzelverträge mit allen Ländern zu schließen[14], als Vermischung von Zuständigkeiten, bürokratisch aufwendig und verbesserungsbedürftig.

5. Digitale Bildung von Anfang an (Maßnahme Nr. 6)

Der Familienbund hält es für richtig, die digitale Bildung stärker im Bildungssystem zu verankern. Da die Digitalisierung immer weiter fortschreitet und alle Lebensbereiche betrifft, könnte man dies sogar als alternativlos bezeichnen. Im Grundsatz besteht hierzu ein breiter Konsens. Die Bedeutung und die Chancen der Digitalisierung müssen hier nicht näher ausgeführt werden. Zweifel hat der Familienbund bei der Formulierung „von Anfang an“ und „schon in den Kitas“. Hier ist sehr genau auf altersgerechten Einsatz von digitalen Medien zu achten und zu prüfen, ab welchem Alter überhaupt digitale Medien genutzt werden sollten. Für den Familienbund ist in sehr jungen Jahren der Kompetenzerwerb in anderen Bereichen und die sinnliche Erfahrung der Welt wichtiger. Die Einschätzung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erscheint sachgerecht, dass bei Kindern bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres keine Bildschirmmedien zum Einsatz kommen sollten; bei älteren Kitakindern sollten digitale Medien nur mit enger und klarer zeitlicher Begrenzung genutzt werden.[15] Trotz dieser vorsichtigen Grundhaltung bei jungen Kindern: Das Bildungssystem muss sich der Realität stellen, dass Kinder ggf. schon sehr früh mit digitalen Medien in Kontakt kommen, und die Medienkompetenz von Kindern stärken, wenn es notwendig erscheint.

Auch die Eltern sollten bei der digitalen Bildung und dem Erwerb von Medienkompetenz eingebunden werden. Denn auch für diese entstehen eine Vielzahl neuer Herausforderungen.

6. Verbesserung der Ganztagsbetreuung im Grundschulalter (Maßnahme Nr. 7)

Der Antrag schlägt insbesondere vor, auch die Kindertagespflege in den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung einzubeziehen. Gegenwärtig ist die Kindertagespflege nur als nachrangig gegenüber der Betreuung in einer Kindertageseinrichtung vorgesehen (vgl. § 24 Abs. 3 S. 3 SGB VIII: „Das Kind kann [Ermessen] bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in Kindertagespflege gefördert werden.“). Aus Sicht des Familienbundes ist die Kindertagespflege eine zusätzliche Option, die für Familien im Einzelfall passend sein kann. Vorteile sind die Flexibilität, die kleineren Gruppen und die Familienähnlichkeit der Betreuung. Es ist zudem die Frage, ob das Bildungsangebot in den Kindertageseinrichtungen in der Realität überall so qualitativ hochwertig sein wird, wie es zu Recht das Ziel sein muss. Denn vor allem die fehlenden Fachkräfte (vgl. Antrag, Maßnahme Nr. 8) sind ein Problem, das noch nicht gelöst ist. Im Sinne der Wahlfreiheit der Familien und in der Situation des Fachkräftemangels erscheint es sachgerecht, die bestehenden Strukturen und das vorhandene Personal der Kindertagespflege in das Konzept zur Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Ganztagsbetreuung im Grundschulalter einzubeziehen.

Dabei sollte allerdings auf eine passende Altersstruktur und auf ein Angebot, das neben der Betreuung auch unterrichtsnahe Bildungsaspekte umfasst, geachtet werden. 

Die Ganztagsbetreuung kann dazu beitragen, den in Deutschland besonders ausgeprägten Zusammenhang von sozio-ökonomischer Herkunft und Bildungserfolg aufzulösen. Das gelingt jedoch nur, wenn mit dem Ganztag ein qualitativ hochwertiges Unterstützungs- und Förderangebot für alle Kinder einhergeht. Dieser Aspekt gerät in der politischen Debatte jedoch oft zugunsten des Ziels einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Hintergrund.

7. Deckung des Fachkräftebedarfs im Betreuungs- und Bildungssystem (Maßnahme Nr. 8)

Der Antrag spricht das vielleicht größte und schwierigste Problem bei der Weiterentwicklung des Betreuungs- und Bildungssystems an, den Fachkräftemangel. An den Fachkräften hängen viele Verbesserungen im Bildungsbereich (s.o.), so dass diese Maßnahme eine der wichtigsten ist. In der Tat braucht es „ausreichendes, motiviertes und qualifiziertes Personal“[16]. Dass hier Handlungsbedarf besteht, ist ein weitgehender politischer Konsens. Ohne Frage gibt es faktische Schwierigkeiten. Der Fachkräftemangel hängt auch mit dem oben (vgl. I.) genannten Zukunftsproblem des demografischen Wandels zusammen. Der oft verwendete Satz, man könne sich keine Fachkräfte „backen“, kann aber für die Politik kein Anlass zu dafür sein, die Hände in den Schoß zu legen. Vielmehr sind alle Stellschrauben anzugehen, um Fachkräfte zu gewinnen. Der Antrag nennt einige richtige Ansatzpunkte: die attraktivere Gestaltung des Arbeitsplatzes, Entlastung von Betreuungspersonal von Verwaltungsaufgaben, erleichterte Zugänge für ausländische Fachkräfte mit guten deutschen Sprachkenntnissen. Es geht um die ideelle und finanzielle Aufwertung des Berufs. Aber es müssen auch andere Politikfelder wie z.B. die Wohnungspolitik in den Blick genommen werden. Denn nicht nur Familien – insbesondere größere – finden mittlerweile in den Ballungszentren nur noch unter großen Schwierigkeiten eine geeignete Wohnung. Auch für die Personen, die in der familienbezogenen Infrastruktur arbeiten, fehlt es an bezahlbarem Wohnraum. Da das Problem umfassend ist, muss es ressortübergreifend und im Austausch zwischen Bund- und Ländern konsequent angegangen werden.

Gegenwärtig tragen die Familien neben den Pädagoginnen und Pädagogen die Hauptlast des Fachkräftemangels, etwa durch eingeschränkte Kita-Öffnungszeiten, Unterrichtsausfall oder Einschränkungen bei der eigentlich vorgesehenen Entwicklungs- und Bildungsförderung – mit Folgen für negativen Folgen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die familiären Belastungsgrenzen sowie die Chancengleichheit von Kindern.

8. Finanzielle Unterstützung von Familien durch Kindergeld und Kinderzukunftsgeld (Maßnahme Nr. 9)

Der Vorschlag, das Kindergeld beizubehalten und fortlaufend bedarfsgerecht anzupassen, während zugleich die Leistungen für Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben (Vereine, Musikschulen, etc.) dynamisiert und in den Kinderzuschlag einbezogen werden sollen (neuer Name „Kinderzukunftsgeld“), ist als Alternativvorschlag zur aktuell diskutierten Kindergrundsicherung zu verstehen. Der Familienbund der Katholiken hat am 13. November 2023 in der Öffentlichen Anhörung ausführlich zum aktuellen Vorschlag der Kindergrundsicherung Stellung genommen.[17] Obwohl der Familienbund die Ziele der Leistungserhöhung und Leistungsbündelung im Sinne einer möglichst einfachen und unbürokratischen Inanspruchnahme durch Familien teilt, erscheint ihm das aktuelle Konzept nicht gelungen. Besserstellungen in einzelnen Bereichen (z.B. für Kinder ab 14 Jahren und bei den Anrechnungsregelungen für Familien im Grundsicherungsbezug) steht eine strukturelle Schlechterstellung für Kinder unter 14 Jahren gegenüber, die lediglich im Zeitpunkt der Einführung durch eine Bestandsschutzregelung verhindert wird. Durchwachsen sieht es auch für Alleinerziehende aus, bei denen es ebenfalls auf der einen Seite Besserstellungen geben soll, während auf der anderen Seite Schlechterstellungen drohen. Und auch auf der Verwaltungsebenen kommt es sowohl zu Vereinfachungen als auch zu Verkomplizierungen. Insgesamt ist der aktuelle Vorschlag nicht ausgereift.

 Der Familienbund kam in der Stellungnahme zu dem Schluss, „dass man mit dem zur Verfügung stehenden Finanzvolumen mehr für die Familien erreichen würde, wenn gezielt der bestehende Kinderzuschlag weiterentwickelt und verbessert würde. Beispielsweise könnte man auch im Rahmen des Kinderzuschlags die bestehenden Mindesteinkommensgrenzen reformieren und die Regelungen zur Abschmelzung und Einkommensanrechnung für Familien günstiger gestalten.  Insbesondere Familien, die für wenig Geld an der Grenze der Grundsicherung arbeiten gehen, verdienen bei begrenzten finanziellen Mitteln eine Priorisierung.

Die im Antrag vorgeschlagene Maßnahme erscheint im oben genannten Sinne als pragmatischer Vorschlag, der sich ein deutlich leichter umzusetzendes Ziel setzt als die Kindergrundsicherung. Es wäre eine Reform des Kinderzuschlags, die durch die Einbeziehung eines teilweise dynamisierten Bildungs- und Teilhabepakets auch gewisse Leistungsverbesserungen enthalten würde. Der Familienbund würde sich eine noch stärkere Leistungserhöhung wünschen, idealerweise orientiert an einem empirisch ermittelten sozio-kulturellen Existenzminimum. Mindestens der aktuell für die Kindergrundsicherung vorgesehene Betrag muss für Leistungsverbesserungen genutzt werden. Zudem wäre eine im Vergleich zum aktuellen Kinderzuschlag reduzierte Abschmelzrate wünschenswert. Eine schlüssige Reform ohne Widersprüche wäre aber besser als eine schlechte Umsetzung der Kindergrundsicherung oder die Alternative, dass die Regierung sich aufgrund der vielen Streitpunkte auf gar nichts einigt und somit gar keine Verbesserung für Familien erfolgt. Interessant und unterstützenswert ist der Vorschlag des Antrags, auch die tatsächlichen Aufwendungen für Sportgeräte und Musikinstrumente sowie für Schwimmkurse zu bezahlen.

Das im Antrag skizzierte Konzept unterscheidet sich von der Kindergrundsicherung nicht so sehr dadurch, dass das Kindergeld erhalten bleiben soll. Denn auch die Kindergrundsicherung enthält weiterhin das Kindergeld (auch in seiner Verknüpfung mit dem Kinderfreibetrag, § 31 EStG). Es erfolgt lediglich eine Umbenennung in Kindergarantiebetrag (die nicht erforderlich erscheint). Wesentlicher Unterschied zum Kindergrundsicherungsvorschlag ist, dass darauf verzichtet wird, das Familienförderungssystem (Kindergeld und Kinderzuschlag) mit dem Grundsicherungssystem (Regelbedarfe) zusammenzuführen. Das Ziel der Zusammenführung erscheint zwar auf den ersten Blick reizvoll, ist aber mitverantwortlich für die zahlreichen Unstimmigkeiten und Probleme im aktuellen Vorschlag zur Kindergrundsicherung. Für symbolische Gewinne („Kinder aus dem SGB-II holen“, „Kinder sind keine kleinen Arbeitslosen“) sollten keine handfesten Verschlechterungen (Verwaltungsverkomplizierungen für Familien im SGB-II-Bezug, „temporäre Bedarfsgemeinschaft“ und damit Kürzungen für Alleinerziehende beim Kinderzusatzbetrag) in Kauf genommen werden. Zudem erscheint es verfehlt, die bestehende Grundsicherung, die gerade erst vom „Hartz IV“ zum Bürgergeld wurde, für generell diskriminierend zu halten. Wenn die Regierung der Auffassung ist, dass das Grundsicherungssystem diskriminierend ist, sollte es so verändert werden, dass es nicht mehr diskriminierend ist und niemand aus diesem System „gerettet“ werden muss. Grundsätzlich ist es eine große sozialpolitische Errungenschaft, dass Deutschland ein Grundsicherungssystem hat.

In der Familienpolitik geht es nicht zuletzt um zuverlässige Leistungen und das Ver-trauen der Familien in die gesellschaftliche und politische Unterstützung. Die kürzlichen Entscheidungen über Einschränkungen beim Elterngeld sowie die anhaltende Debatte über die Nichtanpassung des Kindergeldes, trotz gestiegenen Existenzminimums und steigender Kinderfreibeträge, treffen die Mitte der Gesellschaft und der Familien,[18] Angesichts der wirtschaftlich nach wie vor schwierigen Gesamtlage und der sich abzeichnenden klimapolitischen Weichenstellungen, die insbesondere Familien mit kleinen und mittleren Einkommen finanziell herausfordern werden, muss Familienpolitik diese Familien besonders in den Blick nehmen und sich nicht ausschließlich auf die Bezieher:innen von Grundsicherungsleistungen konzentrieren. Auch dafür wäre ein Ausbau des bestehenden Kinderzuschlags die passendere Lösung.

9. Einführung von Familienlotsen für schwer erreichbare Familien (Maßnahme Nr. 10)

Für diesen Vorschlag gibt es Vorbilder in den Bundesländern. Im Antrag ausdrücklich genannt werden u.a. die „Stadtteilmütter“ (z.B. in Nordrhein-Westfalen und in Berlin). Der Ansatz, bei dem langzeitarbeitslose Frauen mit Migrationshintergrund für soziale Berufe qualifiziert werden und Familien mit Migrationshintergrund unterstützen, ist vielversprechend. Es erscheint sinnvoll, diese Projekte zu evaluieren und in anderen Bundesländern an Best-Practices anzuknüpfen.


 


[3] Esken, vgl. https://vorwaerts.de/inland/spd-chefin-esken-warum-es-100-milliarden-euro-fur-bildung-braucht.

[4] BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 15. November 2023, Az. 2 BvF 1/22.

[6] Vgl. Antrag, S. 1 unten.

[8] Koalitionsvertrag 2021 - 2025, S. 74.

[9] Bundesrat, Drs. 623/19, S. 2 ff.

[10][10] BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. November 1990, Az. 1 BvR 402/87, Rn.33.

[13] Vgl. Kirchhof, Stellungnahme für die Anhörung im Familienausschuss des Bundestages am 05.11.2018 zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung, S. 5.

[16] Antrag, S. 3.

[17] Stellungnahme des Familienbundes der Katholiken zur Kindergrundsicherung, vgl. https://www.bundestag.de/resource/blob/976536/8b6cf95567efaa7d40eb06b4aee09630/20-13-80i.pdf.

[18] Bei den abgesenkten Einkommensgrenzen des Elterngeldes besteht das Problem vor allem perspektivisch: Die Absenkung trifft gegenwärtig noch sehr gut verdienende Familien. Die politische Erfahrung lehrt aber, dass solche Einkommensgrenzen oft Jahrzehnte lang nicht mehr erhöht werden.

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